Freitag, 2. Mai 2014

Feedback zum Bericht von Klaus Zaugg - Wie Minnesota Nino Niederreiter «gestohlen» hat

Lieber Chläusel

Ich bin ein Leser und heimlicher Fan deiner Hintergrundberichte. Du bist seit Jahrzehnten im Hockey-Business und kennst zumindest die Hockeyszene in der Schweiz in- und auswendig. Hier kann dir niemand das Wasser reichen. Das selbe gilt für Infos und Details unserer Exportspieler. Auch da kennst du dich blendend aus und hast äusserst zuverlässige Quellen. Du verwandelst deine Informationen in Berichte, die alle Hockeyfans gerne lesen, jedoch nicht bei allen gleich gut ankommen. Bekanntlich polarisierst du und das finde ich persönlich sehr gut so. Denn das zeichnet dich aus und machen deine Berichte umso spannender.

Ich möchte nun aber zu deinem gestern (1. Mai 2014) erschienenen Bericht "Wie Minnesota Nino Niederreiter gestohlen hat", einige Punkte kommentieren und Klarheit schaffen. Wir möchten ja nicht, dass deine Leser ein verfälschtes Bild des nordamerikanischen Hockeys erhalten. Vor allem jene Schweizer Hockeyfans, welche NHL-Laien sind oder nicht gross Kenntnisse haben vom nordamerikanischen Hockey. 

Gerne zitiere ich Textstellen von dir und gebe einen Kommentar dazu:

"Aber André Rufener ist in der NHL ein ähnliches Kunststück gelungen. Sein Klient Nino Niederreiter versauerte bei den New York Islanders. Die Islanders hatten zwar ein Erstrunden-Draftrecht in den Schweizer investiert. Aber sie gaben ihm gar nie eine echte Chance. Erst liessen sie ihn eine weitere Saison bei den Junioren, dann eine ganze Saison lang in der NHL in der vierten Linie schmoren und schliesslich verbannten sie ihn 2012/13 ganz ins AHL-Farmteam."


--> Ich finde nicht, dass Niederreiter bei den Islanders versauerte. Die Islanders hatten einen Plan ihn sorgfältig für die NHL aufzubauen. Schlussendlich wurde er aber verheizt und musste daher eine Zusatzschleife machen. Bei den einen Spielern dauert es bekanntlich ein bisschen länger als bei anderen. 
Doch fangen wir doch von vorne an: Beim 2010 NHL Draft wurde er an fünfter Stelle von den New York Islanders gezogen. Zu Beginn der Saison 2010/11 schaute sich das Management den damals 18-jährigen Schweizer für die ersten neuen Meisterschaftsspiele an. Da merkten sie, dass er noch nicht reif war für die NHL und schickte ihn, ohne dass ein Vertragsjahr verbraucht wurde, zurück zu seinem Juniorenteam, den Portland Winterhawks in der WHL, wo er dominieren sollte. Das tat er dann auch und konnte in seiner zweiten Juniorensaison in Übersee erstmals einen Punkteschnitt über 1 Punkt pro Spiel aufweisen (55 Sp, 41 T, 29 A, 70 P), was äusserst wichtig war für seine Entwicklung.

Nino Niederreiter im Dress der Portland Winterhawks.

In der Saison 2011/12 kam er dann als 19-Jähriger zu 55 Partien für die New York Islanders in der NHL, mehrheitlich in der dritten oder vierten Linie (10:07 durchschnittliche Eiszeit). Die Top-6 Stürmer bei den Islanders bildeten meistens Tavares, Moulson, Parenteau, Nielsen, Okposo und Grabner. Bailey und Rolsten waren normalerweise die ersten, welche in die Top-6 eingesprungen sind. Diese Top-6 war zwar für die NHL unterdurchschnittlich besetzt, aber zu diesem Zeitpunkt immer noch zu schwierig für Niederreiter, um hier vorne mitzumischen. Aber auch in der dritten und vierten Linie hätte er sich für höhere Aufgaben aufdrängen können und bei über 10 Minuten im Durchschnitt in 55 Spielen hätte er auch genügend Eiszeit dafür gehabt. Nach dieser Saison gehörte Niederreiter zum WM-Kader der Schweizer, konnte aber auch dort keine Akzente setzen und ging in 6 Spielen ohne einzigen Skorerpunkt in die Sommerpause.

Nachdenklicher El Niño: Bei den Islanders gab es nicht viel zu lachen.

Die wichtigste Saison für seine bisherige Laufbahn war aber aus meiner Sicht die Saison 2012/13, als er aus Sicht vieler einen Schritt zurück machte. Er wurde von den Islanders nämlich in die AHL zum Farmteam, den Bridgeport Sound Tigers beordert. Da kamen vor allem aus der Schweiz viele kritische Stimmen, die diesen Schritt nicht verstehen konnten. Aber genau von diesem (Rück-)Schritt profitiert Niederreiter nun. Für Bridgeport kam er auf gute statistische Werte (74 Sp, 28 T, 22 A, 50 P), welche ihm vor allem das Selbstvertrauen zurückbrachte. Nun könnte man sagen, dass El Niño doch in der Saison 2011/12 statt in der NHL in der AHL hätte spielen sollen. Aber eine Regel besagt, dass Spieler, welche aus den Kanadischen Juniorenligen gedraftet werden, erst mit 20 Jahren in der AHL spielen dürfen. Ausnahmen bilden beispielsweise sogenannte "conditioning stints", also beim Aufbau nach Verletzungen wie Niederreiter in der Saison 2011/12 (6 Spiele in der AHL) oder Ende Saison, wenn das Juniorenteam ausgeschieden ist und das AHL Team noch am spielen ist. Komplexe Regeln, aber so ist das nordamerikanische Hockey: strikte und bis ins Detail reglementiert.
Dieses zurückgewonnene Selbstvertrauen, welche er sich in der AHL erarbeitet hat, zeigte erste Früchte an der WM 2013 in Stockholm (10 Sp, 5 T, 3 A, 8 P), als der Schweizer Power-Stürmer seine Mannschaft bis in den Final führte. Das WM-Turnier war seine "Coming-Out-Party". An der WM, an dem so viele Scouts die europäischen Spieler beobachten, hat er es besonders den Verantwortlichen der Minnesota Wild angetan. 

An der WM in Stockholm hat Niederreiter allen gezeigt, was er kann.

"Dieser Trade ist fast so schlimm wie der Tausch Damien Brunner gegen Thomas Walser. Inzwischen sind auch nordamerkikanische Beobachter der Meinung, Minnesota habe Nino Niederreiter sozusagen "gestohlen". Cal Clutterbuck hat diese Saison für die Islanders in 73 Partien bloss 19 Punkte produziert und die Islanders haben einmal mehr die Playoffs nicht erreicht. Nino Niederreiter buchte für Minnesota in 81 Partien 36 Punkte und hat soeben die 7. Playoffpartie gegen Colorado durch einen Treffer in der Verlängerung entschieden."

--> Knapp einen Monat nach dem Silbermedaillengewinn wurde Nino Niederreiter an die Minnesota Wild transferiert. Im Gegenzug ging Cal Clutterbuck und einen Drittrunden-Draftrecht zu den New York Islanders. Die statistischen Werte sind korrekt aufgelistet und wenn man dies nur anhand dieser Werte beurteilt, gibt es keine andere Interpretation. Nun eben darf man diese Spieler so nicht miteinander vergleichen. Niederreiter ist ein typischer Skorer und sein Potential müsste in den ersten beiden Linien zu finden sein und vor allem an den Skorerpunkten gemessen werden.

Bei Minnesota kommt Nino Niederreiter wieder auf Touren.

Clutterbuck ist jedoch ein anderer Spielertyp, der körperbetont und mit Ecken und Kanten spielt. Dementsprechend nimmt er eine andere Rolle ein. Er checkt alles, was sich ihm in den Weg stellt und steht seit seinem Einstieg in der NHL jeweils in den vordersten Rängen bei den Anzahl Checks (270 in 73 Spiele in der abgelaufenen Saison). Ein Jahr nach diesem Trade kann alles in allem zu Recht behauptet werden, dass Minnesota diesen Trade gewonnen hat, aber man wird erst in ein paar Jahren wissen, ob dies weiterhin so bestehen bleibt. Vor allem auch, wie sich der Drittrundendraft (Torhüter Eamon McAdam) entwickeln wird. Fazit: So krass wie Brunner für Walser war dieser Trade gar nicht. Es ist nicht so, dass Niederreiter in ein paar Jahren plötzlich Topscorer der NHL sein und Clutterbuck nun mit 26 seinen Rücktritt bekannt geben wird.

36 Punkte in 81 Spielen (190. Stelle in der NHL) sind ein ganz guter Wert für den 21-jährigen Schweizer. Mit diesem Treffer in der Verlängerung von Spiel 7 wird er zudem in den Geschichtsbüchern von Minnesota verewigt sein. Was aber nicht vergessen werden darf, ist, dass Niederreiter auch in dieser Saison bei den Wild teils wochenweise in der vierten Linie spielen musste. Dies gehört zu der Entwicklung eben auch dazu. Dieser serieentscheidende Treffer könnte aber wie damals die WM in Stockholm eine ähnliche Signalwirkung für den nächsten Schritt des Schweizers werden.

"Zudem ist Niederreiter erst 21 Jahre alt und hat eine grosse NHL-Karriere vor sich. Clutterbuck ist 26 und hat die Zukunft wahrscheinlich hinter sich."

--> ;-) Der war gut! Ohne Kommentar... :-)

"Wäre der kräftige Powerflügel bei den Islanders geblieben (bzw. hätte ihn André Rufener nicht dort rausgeholt), dann wäre seine NHL-Karrier jetzt zu Ende und er stünde vor der Rückkehr in die NLA."

--> Wie oben bereits geschrieben, benötigte El Niño diese Stationen um nun in dieser Position zu stehen. Nach der erfolgreichen Saison in der AHL und der anschliessenden WM war auch dem Management von den Islanders klar, dass er gereift war und NHL-ready wurde. Ich formuliere es nun anders: Hätte ihn André Rufener nicht dort rausgeholt und Niederreiter seine Chance neben Tavares und Okposo genutzt und aufgeblüht wäre, hätte er in der abgelaufenen Saison doppelt so viele Skorerpunkte geholt...

"Er verdiente diese Saison im dritten Jahr des reglementierten ersten NHL-Vertrages ("entry level") 810'000 Dollar brutto. Er wird im Sommer durch einen neuen Vertrag Millionär."

--> Stimmt nicht ganz, Klaus! Sein Basissalär aus dem "entry-level" Vertrag betrug 810'000 Dollar brutto. Aber das festgesetzte Maximum an Bonis betrug 1'925'000. Wie viel er davon erhielt, müsste man ihn persönlich fragen.

"Bei günstiger Konstellation ist ein lukrativer Mehrjahresvertrag - beispielsweise 15 bis 20 Millionen für fünf Jahre - durchaus möglich."

--> Er ist nun bei Minnesota, Klaus, und nicht bei den Islanders! Der General Manager der Wild Chuck Fletcher ist ein kluger Kerl. Dass mit Zach Parise und Ryan Suter zwei absolute NHL-Superstars bei den Wild spielen, ist ihm zu verdanken. Fletcher wird Niederreiter sicher korrekt und im richtigen Rahmen einen neuen Vertrag unterbreiten. Ich tippe auf einen sogenannten "bridge contract", welcher normalerweise bei jungen Spielern, bei denen man noch nicht so richtig weiss, wie sie sich entwickeln werden, angewandt wird. Zwei Jahre zwischen 5 und 6 Millionen wären angebracht, denke ich.

Wie diese Saison gezeigt hat: Nino Niederreiter reift langsam aber sicher zu einem guten NHL-Spieler heran. Sein grosses Talent ist unbestritten. Sein Potential unglaublich hoch. Wie viele der jungen und talentierten Spieler muss der nächste Schritt sein die Konstanz zu verbessern und seine Skorerwerte zu erhöhen.

Lieber Klaus

Ich wollte nur ein bisschen ins Detail gehen, um zu zeigen, was wirklich dahinter steckt. Ich weiss, dass du dich auf die wichtigsten Informationen beschränken musst und mit gewissen Aussagen Humor zeigen möchtest oder übertreiben musst. Trotzdem: Die Personalie Nino Niederreiter und seine Zeit bei den Islanders ist auf dem ersten Blick für Schweizer Hockeyfans nicht nachvollziehbar. Mit mehr Detailinformationen kann man aber einiges nachvollziehen.
Übrigens: Interessant ist auch der Werdegang von Ryan Getzlaf, einem der aktuell besten Spieler der NHL, gemeinsam mit Sidney Crosby und Claude Giroux nominert als MVP der Saison 2013/14. Falls es noch jemand gibt, welcher die Situation mit Nino Niederreiter immer noch nicht verstehen kann, schaut sich bitte die Entwicklung und Stationen von Getzlaf an.


Follow me on Twitter: @HNISwitzerland

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen